Die Festnahme in den Medien
1986
Am Nachmittag des 4.11.86 äußerte
sich Jürgen Onißeit vor einem Reporter des West-
berliner Senders SFB. Selbst nicht
Augenzeuge aber so etwas wie Sprecher der Strich-
Gruppe gab er vermutlich Aussagen
Frank Willmanns wieder, der vor seiner Flucht im-
merhin die Grepos noch kurz gesehen
hatte. Jürgen Onißeit: "Der Willi/Willmann rief noch WEG !,
aber Hasch hatten sie schon am Arm und mit gezogener Waffe halt MITKOMMEN
und er hatte keine Chance mehr."
Diese Darstellung entspricht nicht
der Realität. Ich wurde nicht am Arm gepackt .Frank Willmann rief
nicht "Weg!" sondern meinen Namen. Die Waffen hingen am Armgurt und waren
von einer Hand umfasst, möglicherweise waren sie geladen.
Die Springer-Zeitungen "BILD" und
"BZ" wiederum sprach von Entführung und Verschlep-
ung. Jedoch handelte es sich um
eine Festnahme auf dem Hoheitsgebit der sowjetischen Besatzungszone, in
der die DDR existierte, sodaß von einer Entführung nicht gesprochen
werden kann. Daß die Festnahme aufgrund der Malerei eine nach demokratischen
Maßstäbenübertriebene Reaktion war macht sie nicht zu einer
Entführung. (Hätte die DDR dort einen z.B. Vergewaltiger oder
Serienmörder festgenommen, hätte die Springer-Presse vermutlich
nicht von Entführung geprochen.)
Die DDR-Sicherheitsorgane wollten
die Angelegenheit beenden und sie aufklären, weil sie nicht wußten,
was sich tatsächlich dahinter verbarg. Um eine Fortsetzung zu unterbinden
ließ sie mich -die anderen Maler dadurch abschreckend-nicht mehr
frei, sondern leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Die medial generierte
"Prominenz" des Falles stellte ihr auch eine satte Freikaufsumme in Aussicht,
sodaß sie mich, um den Freikauf-Erlös auch wirklich und in der
ausgehandelten Höhe zu erhalten, nicht beabsichtigte, mich schnell
wieder freizulassen.
Die Medien-Darstellungen gingen
allesamt mehr oder weniger von einer Festnahme mit körperlicher Gewalt
und unter Waffenandrohung aus. Dabei hatte es während der Festnahme
keine direkte körperliche Gewalt gegeben, diese war aber, so ein Grepo
später, bei Widerstand als
Option in Form von Schußwaffengebrauch und "Flachlegen" (Zitat Grepo)
eingeplant.
Nach dem Verschwinden hinter dem
Mauertürchen in den "Todesstreifen" bekam ich beim Laufen Tritte auf
die Hacken, was mich einerseits einschüchtern sollte, andererseits
eine Art Vergeltung und Ventil für die Unruhe und den Aufklärungsdruck
gewesen sein dürfte, in die die Grepos durch unsere Mal-Tätigkeit
einen ganzen Tag lang versetzt worden waren und die sie als heftige Provokation
aggressiv vorgehender, feindselig maskierter DDR-
Gegner interpretierten.
Davon konnten die Medien natürlich
nichts wissen.
Insgesamt erzeugten die Medien in
ihren Meldungen den Eindruck einer entschlossenen gewaltsamen Festnahme,
von einigen als Entführung oder Verschleppung bezeichnet.
Mein gewaltfreies Nachgeben war
den Medien und allen, die von der Festnahme mit-
bekommen hatten schon durch die
Tatsache des an der Berliner Mauer geltenden Schießbefehls völlig
nachvollziehbar.
2010
Dieses Verständnis änderte
sich 2010 im Zuge der Erscheinung des Buches "Der weisse Strich"
von Anne Hahn/Frank Willmann. Um sich selbst zu inszenieren beschrieb Willmann
die Situation vor der Festnahme als eine, bei der beide Betroffenen in
gleichem Maße
bedrängt worden wären,
aber er die unmittelbare Bedrohung der Grepos einfach ignoriert hätte,
während ich einerseits geschockt, andererseits unbekümmert naiv
gegenüber möglichen Konsequenzen einfach mit den Grepos
mitgegangen wäre. Geschocktsein und Unbekümmertheit sind zwei
Gemüts-Dispositionen, die überhaupt nicht zusammenpassen.
Willmann war nicht, wie er behauptete,
einen Meter. sondern meterweise von den Grepos entfernt, als diese plötzlich
auf mich zukamen.
Er war deshalb so weit entfernt,
weil wir immer in Abständen malten und ich zu diesem Zeitpunkt der
voranmalende Akteur war und deshalb als erste die Höhe des Grepo-
Hinterhalts erreichte.
Es fragt sich, warum sich Willmann
nicht schon 1986 in ähnlicher Weise geäußert hat.
Seine beabsichtigten Selbstinszenierung
bei gleichzeitiger Verhöhnung krönt er in seinem Buch noch mit
der Schilderung, ich hätte gerade eine Zigarette geraucht. Damit will
er suggerieren, daß Zigarettenrauchen die Geistesgegenwärtigkeit
in drastisch hand-
lungsbedürftigen Situationen
einschränkt. Unabhängig davon habe ich während des Malens
nicht geraucht, da ich als Rechtshänder noch nie mit der linken Hand
Zigaretten rauchte und beim Malen die rechte Hand stets für den Pinsel
benötigte.
An die Darstellung vom Zigarettenrauchen
knüpft im Buch dann Herr Saitter von der Stiftung Berliner Mauer an,
wohingegen die Medien aus dem obenegenannten Widerspruch jeweils zu einer
der beiden sich widersprechenden Darstellungen greifen. Für manche
ging ich unbekümmert einfach mit, für andere war ich derart geschockt,
daß ich mich hand-
lungsunfähig dem Willen der
Grepos fügte.
Der an der Festnahme beteiligte
Grepo Fittinger hat mit seinen Äußerungen im Buch "Der weisse
Strich" im ZDF-Beitrag "Aspekte" und im Film "Striche ziehen" immerhin
ein Stück zur Aufklärung der Situation beigetragen. Im Buch "Der
weissse Strich" spricht er davon, daß die Grenzposten davon absahen,
den anderen Maler (also Willmann) festzunehmen zu versuchten, da sie den
einen ja gefaßt hatten und dieser ihnen reichte, um die Aktion zu
beenden. Damit sagt er aus, daß Frank Willmann einer realen Bedrohung
gar nicht ausgesetzt war. Wohingegen Fittinger in meinem Fall davon spricht,
daß sie mich im Falle meines Widerstands "flachgelegt" hätten
(ZDF, "Aspekte"). In "Striche ziehen" spricht er davon, froh gewesen zu
sein, daß sie ohne Waffeneinsatz ausgekommen waren, was darauf hinweist,
daß sie eine solche Option durchaus im Handlungs-Reperoire eingeplant
hatten. Warum sie Willmann nicht mit diesen Optionen von Waffeneinsatz
und körperlicher Überwältigung einzufangen versucht haben
ist durch Fittingers obige Aussage eindeutig geklärt. Wenn Frank Willmann
seine Flucht darstellt, als wäre sie dadurch zustande gekommen,
weil er die Überwältigungsversuche der Grenzposten einfach ignoriert
hat so ist das schlichtweg gelogen.
Apropos "Aspekte" des ZDF. Noch heute
findet sich auf deren Webseite ein Text mit der Information, daß
Jürgen Onißeit und Frank Willmann flohen, während Wolfram
Hasch geschockt stehenblieb. Hier wird in die angeblich gleiche Bedrohungssituation
sogar noch Jürgen Onißeit mit einbezogen, obwohl der sich zu
diesem Zeitpukt auf sicherem Westberliner Gebiet im Tiergarten befand.
Es ist ein gutes Beispiel für die medialen Ungenauigkeiten. Man kann
letztlich fast schon dankbar für diese eindeutige Bestätgung
ihrer mangelnden Realitätswiedergabe sein.
Mag sein, daß man mit "dem
Zweiten" besser sieht, präziser informiert wird man jedenfalls nicht
unbedingt.
Fakenews made in 1986. Schlagzeile
5.11.86 in der "BZ" des Springer-Verlages. An den in den Zeilen enthaltenen
Informationen entspricht nichts der Realität: Weder schrie ich meinen
Namen noch wurde ich entführt, sondern auf dem Gebiet der DDR bzw
sowje-
tischen Besatzungszone festgenommen.
Urheber der Schlagzeilen war entweder das reiche Vorstellungsvermögen
der "BZ" oder das der beiden als Informationsquelle einzig infragekommenden
Ohrenzeugen Willmann und J.Onißeit. Da meine Mitakteure meinen Namen
kannten und wußten, daß ich verhaftet worden war, war es unnötig,
meinen
Namen zu hinterlassen.
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